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Wasserstoff: die Eierlegende Wollmilchsau der Energiewende?

Aktualisiert: 8. Juli 2020

Derzeit ist Wasserstoff als Energieträger der Zukunft in aller Munde. Die Bundesregierung hat beschlossen, dass Deutschland im Thema Wasserstoff eine Vorreiterrolle einnehmen soll und so Branchen ebenfalls dekarbonisiert werden sollen, die nicht so leicht auf alternative oder erneuerbare Energieträger umsteigen können. Dekarbonisierung bedeutet: raus aus der Nutzung fossiler Rohstoffe, bei deren Verbrennung vor allem CO2 entsteht. Dazu will der Bund ca. 9 Mrd. € des 130 Mrd. € schweren Konjunkturpaketes für diesen Sektor bereitstellen [2]. Um unsere Abhängigkeit vom Automobilsektor als Arbeitgeber Nr. 1 zu reduzieren, keine schlechte Weichenstellung, denn Wasserstoff kann als eines der wenigen Energieträger den Vorteil ausspielen, ohne schädliche Emissionen auszukommen. Denn bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht nur Wasserdampf. Zudem ist er als Gas universell einsetzbar, er kann in Gas-Turbinen verstromt werden, in Brennstoffzellenautos eingesetzt werden, zum Heizen genutzt werden aber auch - ein in Zukunft immer wichtigerer Faktor - als Rohstoff für verschiedensten Industrieprodukte eingesetzt werden. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass er als Power-to-Gas-Lösung eine Langzeitspeicheroption ist, um z. B. Sonnenstrom für den Winter in sog. Dunkelflauten (Zeiten in denen über Tage oder Wochen kaum Sonne scheint und der Wind auch nur mäßig weht) einzusetzen.


Ideale Voraussetzungen für den Energieträger der Zukunft. ABER: So einfach ist die Rechnung dann doch nicht, wie dies die Politik oder die Medien uns zum Teil verkaufen wollen. Die Herstellung von Wasserstoff erfolgt derzeit auf zwei Weisen: einmal durch die Abspaltung der Wasserstoff-Atome (H) von Erdgas bzw. dessen Hauptbestandteil Methan (CH4). Neben Wasserstoff entsteht zusätzlich CO2 [1]. Es ist zwar möglich dieses abzuspalten und einzulagern, was aber zumindest in Deutschland höchst umstritten ist. Zudem wollen wir ja mit dem Wasserstoff weg von fossilen Energieträgern wie Erdgas, weshalb es nur bedingt Sinn macht, den Wasserstoff vorher davon abzuspalten. Die andere Möglichkeit ist, Wasserstoff über den Elektrolyse-Prozess zu gewinnen. Eine schon seit zweihundert Jahren bekanntes Verfahren. Durch Strom wird Wasser durch einen chemischen Prozess in seine Bestandteile Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2) zerlegt (einfaches Verfahren siehe Abbildung).

In dem heute bekannten Verfahren (Power-to-Gas) wird mit erneuerbaren Strom(-überschüssen) grüner Wasserstoff erzeugt. Dieser kann entweder direkt verwendet werden oder, da die heutige Energieinfrastruktur (noch) nicht auf Wasserstoff eingestellt ist, in weiteren chemischen Prozessen zu z. B. Methan oder Methanol, aber auch Diesel, Benzin oder Kerosin umgewandelt werden kann. Es wird dabei von synthetischen Kraft-/Rohstoffen gesprochen. Vor allem letzteren Prozess wird eine große Zukunft prophezeit [1].

Knackpunkt, und warum sich die Technologie derzeit noch nicht durchgesetzt hat, ist, dass Wasserstoff preislich mit Abstand nicht mit seinen fossilen Pendants mithalten kann. Zweiter Nachteil: der Elektrolyse-Prozess verschlingt Energie (Wirkungsgradverluste), weshalb in vielen Bereichen effizientere (auch nachhaltigere) Möglichkeiten vorhanden sind.

Hierzu folgendes Rechenbeispiel: Eine Grundwasserwärmepumpe als sehr effiziente Heizungsanlage kann mit einer Kilowattstunde (kWh) Strom ca. fünf Kilowattstunden Wärme erzeugen. Dazu entzieht die Wärmepumpe dem Wasser Energie mit niedrigem Temperaturniveau (ca. 10 °C) und wandelt diese Energie mit Hilfe des Stromes in Wärme mit höherem Temperaturniveau (35-60 °C). Die Elektrolyse dagegen hat derzeit einen Wirkungsgrad von 60 - 70 %, d. h. 1 kWh Strom wird in ca. 0,6-0,7 kWh chemisch gebundener Energie gewandelt. Über eine Methanisierung zu Methan (Wirkungsgrad von 80 %) kann der Rohstoff zum Heizen in einer Gasheizung eingesetzt werden [1]. Der Vergleich zeigt: Aus einer Kilowattstunde Strom kann entweder 5 kWh Wärme oder nur 0,5 kWh Wärme bereitgestellt werden. Anders ausgedrückt, müsste in Deutschland 10 mal mehr Photovoltaik und Windkraft-Anlagen zugebaut werden, um den gleichen Wärmebedarf zu decken, würden wir im Wärmebereich die Wasserstoffschiene gehen.


Auch im Verkehr lässt sich eine solche Rechnung aufmachen, so dass das Wasserstoff-Auto in Sachen effizienter Nutzung der Ressource Strom dem Elektroauto hinten anstehen muss. Auch wenn hier die Lücke nicht so weit auseinander klafft. Wasserstoff kann aber im Wärme- und Verkehrssektor Lücken füllen, die die anderen nicht decken können. Batterien weisen eine niedrige Energiedichte auf, weshalb Langstrecken- oder Schwerlastverkehr eine Anwendung sein könnten. Auch in Städten sind Wärmepumpen nicht immer umsetzbar oder auch in denkmalgeschützten Altbauten, wo hohe Temperaturen notwendig sind, ist Wasserstoff bzw. ein Folgeprodukt eine Lösung.

Im Stromsektor kann Wasserstoff oder ein daraus gewonnener synthetischer Kraftstoff als Langzeitspeicher dienen. Heute ist aber erneuerbarer Überschussstrom noch selten, weshalb Strom am besten direkt oder durch Nutzungsanpassungen verwendet werden sollte. Dazu kann z. B. eine Waschmaschine erst mittags laufen, wenn viel Sonnenstrom günstig vorhanden ist.



In den klassischen drei Energiesektoren (Strom, Wärme, Verkehr) taucht Wasserstoff daher eher in Nischenanwendungen auf, vor allem in den kommenden Jahren. Wir können jetzt nicht mit den Wirkungsgradverlusten leben, wenn wir schon Probleme haben, überhaupt genügend erneuerbare Energien auszubauen. Hier sollten zunächst alle Lösungen mit großer Wirkung umgesetzt werden. Wenn dann der Ausbau erneuerbarer Energien so weit fortgeschritten ist, dass keine Grundlastkraftwerke (Kraftwerke, die die Grundsicherung unserer Stromversorgung sichern, z. B. Kohlekraftwerke) mehr vorhanden sind und teilweise viel mehr Strom erzeugt wird als gebraucht wird, ist eine Wasserstoffnutzung als Langzeitspeicherlösung aus derzeitigem Wissenstand unumgänglich.


Ein Sektor der aber fast alternativlos ist, ist die nichtenergetische Nutzung fossiler Rohstoffe, z. B. in der Kunststoff-, Chemie- oder Düngeindustrie. Hier kann Wasserstoff und die daraus gewinnbaren Folgeprodukte als Rohstoff dienen, für einen Sektor der ebenfalls einen großen Teil der globalen Emissionen umfasst.

Wir dürfen also von Wasserstoff nicht zu viel erwarten. Er wird sicherlich Teil der Energiewende, aber eben nicht die Eierlegende Wollmilchsau. Er wird nicht all unsere Energieprobleme lösen und so einen nahtlosen Übergang vom fossilen zum erneuerbaren Zeitalter ermöglichen. Dem ist weit gefehlt. Wenn wir uns zu sehr darauf verlassen, dann verpassen wir, rechtzeitig die richtigen Weichen zu stellen, unsere Welt von morgen neu zu gestalten. Es darf auch nicht dazu benutzt werden, dass alte Geschäftsmodelle beibehalten werden können und so alle Strukturen (auch die schädlichen), wie sie heute bestehen, beibehalten werden.


Zu lesen ist bereits, dass 80 % des Wasserstoffes importiert werden soll [2]. Die Produktion soll dort erfolgen, wo erneuerbare Energien besonders günstig erzeugt werden können. Aber führt dies nicht wieder zu Rohstoffabhängigkeiten vom Ausland? Was aber wenn andere Länder es als lukrativer erachten, den reichen Ländern ihren erneuerbaren Wasserstoff zu verkaufen anstatt ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?

Daher sind von vorne herein Regeln aufzustellen, wie ein Wasserstoffsystem aufzubauen ist und unter welchen Regeln Wasserstoff (und seine Folgeprodukte) herzustellen sind. Denn ein rein marktgetriebener Ansatz wird wieder neue Probleme schaffen, die durch strikte politische Regeln umgangen werden könnten. Die Lösungen von heute, dürfen nicht die Probleme von morgen werden.

Diese Regeln sind nach ökologischen, ökonomischen aber auch sozialverträglichen Kriterien aufzustellen. Diese im Nachhinein anzupassen, wenn gewissen Strukturen etabliert sind, wird schwierig. Zumal sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass sich neue, vorher nicht ausmalbare Extreme ergeben, die nicht (oder nur kaum) umkehrbar sind. In unserem Artikel Digitalisierung wird uns genau dies vor Augen geführt. Die Digitalisierung könnte ökologisch viel bewegen, indem z. B. Geschäftsreisen zum Teil unnötig werden, Ineffizienzen in der Energieversorgung schnell aufgedeckt werden usw. Es zeigt sich aber auch, dass ganz andere Kräfte am Werk sind, die die Digitalisierung für sich beanspruchen, mit immer größeren Datenmengen und damit verbunden, ein Energiehunger, der kaum mehr zu stillen ist.

Daher müsste z. B. für die Elektrolyse gelten, dass diese nur mit Überschussstrom betrieben werden darf, also Strom aus erneuerbaren Energienanlagen, der nicht anderweitig genutzt werden kann. Die Elektrolyse darf also nicht in Konkurrenz einer Wärmepumpe oder einem Elektroauto um erneuerbaren Strom stehen, denn dadurch sinkt die Effizienz im Energiesystem, es müssen mehr erneuerbare Energien-Anlagen zugebaut werden. Zum anderen steigen durch eine höhere Nachfrage nach Strom dessen Preise, weshalb der Betrieb von Wärmepumpen oder Elektroautos unattraktiver wird und die Transformation lähmt. Zudem muss der Import von Wasserstoff reglementiert werden. Deutschland darf sich so nicht als Saubermann der Welt hinstellen, während andere Länder dadurch ihre Klimaziele verfehlen. Heute, wo der Anteil an Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen noch marginal ist, ließen sich diese Rahmenbedingungen stricken, in der "freien Wildbahn" lassen sich aber ungewünschte, den Klimazielen hinderliche Auswüchse wohl nicht vermeiden.

Wasserstoff wird einen Teil unserer Zukunft darstellen, aber für eine nachhaltige Zukunft brauchen wir neben effizienten und erneuerbaren Energiekonzepten auch Genügsamkeitskonzepte und diese beruhen nicht auf einer Fortführung des jetzt bekannten Lebensstils, sondern in einer (teilweisen) Abkehr davon hin in einen entschleunigten Lebensstil. Wir müssen schnellsten Erkennen, dass unser Glück und das Wohl der Erde nicht in der Beschleunigung unseres Lebens liegt!


Zum Hintergrund: Der Autor hat Jahre lang im Bereich Power-to-Gas geforscht, weshalb viel Wissen, Gedanken und Ideen unzitiert sind. Die Zahlen stammen Großteils aus dem Buch "Energiespeicher - Bedarf, Technologien, Integration" von Michael Sterner und Ingo Stadler, bei dem der Autor mitgewirkt hat.


Quellen:

[1]: Michael Sterner, Ingo Stadler "Energiespeicher - Bedarf, Technologien, Integration", Auflage 2, 20167, Springer

[2]: https://taz.de/Wasserstoffstrategie-der-Regierung/!5688243/, abgerufen am 20.06.2020

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